D-LEu, Kestner, I C II 290, Nr. 16 (Neefe to Großmann)
Bonn, 23 July 1784
Location: Leipzig, Universitätsbibliothek, Kestner Collection I C II 290, Nr. 16
Transcription
[1r]
Bonn am 23. Jul. 1784
Ihr Brief, mein theuerster Großman, hat viel, sehr viel zu
meiner Beruhigung beigetragen. Er ist mir ein schätz=
barer Beweis Ihres mit fühlenden u. Liebvollen Herzens;
Er lehrte mich recht tief empfinden, wie wahr es sei,
was einst Wieland und Schweitzer sangen:
Nein! Der ist nicht verlaßen,
vom Schicksal nicht ganz verlaßen,
dem in der Noth ein Freund
zum Trost erscheint.
Nehmen Sie werkthätig tröstender Freund meinen wärmsten
Dank dafür; ich werde diesem edlen Zug Ihres Herzens nie
vergeßen.
Meinen Abschied hab ich noch nicht gefordert. all meine
hiesigen Gönner und Freunde, zum in mich, mich nicht
damit zu übereilen. Sie ermuntern mich zur Geduld,
und suchen die Hofnung in mir zu erwecken, daß, wenn
der Kurfürst nur erst das Ganze seines Hofs einge=
richtet, und er eine genaue Ubersicht von Einkünften
und Ausgaben habe, sich dann mein Schicksal hier ge=
wiß auf eine beßere Seite wenden werde, Die
Wahrheit werde und müsse auch noch an den Tag kommen,
um durch ihren Sieg meine Verläumder zu beschämen.
Gut! Auch das will ich noch thun: Ich will noch ein
Weilchen dulden und harren, damit ich mir einst auch von
dieser Seite keine Vorwürfe zu machen habe, und daß ich
dem Verdacht einer Widerspenstigkeit gegn meine Gönner pp.
Ausweiche, der mir wieder neuen Verdruß zuziehen könnte.
H. Schausp. Direct. Großmann
[1v]
Um mir das Harren Leidlich zu machen, behüht man
sich, mir Klavierinstrucktionen zu verschaffen.
Neefe, der glückliche Neefe!!! wird also in der
Zeit des Harrens brav Schulmeistern und dahin
in seinem 36ten Jahr zurückkehren müßen, womit er
in seinem 16hnten seine musikalische Laufbahn begann.
Was mich noch mehr dazu bestimmt, ist, daß ich Ihr
gutes Herz nicht mißbrauchen, und Ihnen nicht beschwerlich
fallen mag, bevor Sie mich nützen können. Indeß
könnten Sie Ihre Einrichtung des Ganzen machen, und
mir nach Ubersicht deselben eher sagen, was Sie
für mich thun können, wie Sie auch selbst
in Ihrem Briefe anführen. # Der Himmel gebe
und erhalte mir unterdessen nur Gelaßenheit! Sie
haben recht, wenn Sie Sagen: „Es gehört bei Gott!
Die ganze Entschloßenheit eines ganzen Mannes dazu,
solche Schicksale zu übertragen. Und dann bei allen
Leiden sich noch von Schurken, Heuchlern, [Gleitnern],
Taungenichts umgeben zu sehen, das ist hart!„
Ja wohl, hart! - Und eben dieses Ottergezücht, das
sich vor Ihnen begute, wenn es seine Löhnung
hohlte, Ihnnen lienkoste, wenn es Ihrer Schüssel
schluckte und aus Ihrem Kruge schürfte, das
viellecht unglücklich worden wäre, u. sich im Eland
hätten-Eben dieses Ottergezücht hat auch hier
in verschiedenen Häusern Sie zu verwenden gesucht
mit seiner giftigen Tunge. - Doch was Wunder!
So gings immer unter dem sogenannten edlern Theil
der Schöpfung, unter den Menschen. Man hat zwar
# Auch geweinn ich mehr Zeit meine hiesige Geschäfte und
Sachen beßer einzurichten und zu enden.
[2r]
oft de Hobbesischen Satz: Homo homini lupus
zu widerlegen gesucht; allein schon Kain scheint
ihn zu bestätigen. - Um so herrlicher gelängen
auch die Wenig erhabenen Menschenseelen unter
den Legionen der unsaubern Geister hervor. achten
nicht des Spottes, der Verläumdung, der Verfolgung;schlum=
mern sanft und ruhig auf dem Bewußtsein ihrer
Unschuld, dulden und erwarten eine beßere Welt.
Wers nur schon so weit gebracht hätte! Aber
gar nicht, oder nicht eher heurathen, bis er seines
irdischen Geschiks gewiß ist. Doch wär zu fragen:
Was ist hier in diesem Menschenleben gewiß? Wie
einst Pilatus fragte: Was ist Wahrheit? - Verzeihen
Sie meinem Moralisieren! Ich breche folglich ab.
Ich höre, daß es Ihnen in Pyrmont gut zu gehen an=
fängt. Das freut mich in der Seele. Möcht es Ihnen
doch immer wohl gehen, und die Schläge des Schicksals,
möchten sie nun auf stets geendigt seyn!
Sie erhalten diesen Brief durch Herrn Steigern
und vermutlich auch die quittirtern Rechungen, die
ich auf Ihr Verlangen bezahlt u. an Steigern gesendet
habe. Es sind deren Neune. Zugleich liegen die
quittirte Rechnungen von Zartmann, Ausrufer Saas, und Abs=
horen bei. Mit diesen sind es also Zwölfe, die
alle numeriert sind.
Auch sende ich Ihnen, weil Sie es so haben wollten,
die ganze Rechnung und Gagenrechnung, welche ich
zu justifizieren bitte. Das Protokoll, weil es
wirklich zu korpulent ist, geb ich Ihrer Demoisell
Tochter bei der Durchreise. Die Ihnen übrig
2v
bleibenden Ein und dreisig Reichsthalher und Zehn Stüber,
will ich indeß hier behalten, da ich doch noch die
Auslage für die Einsängerinn zu mach habe.
Auch eine Pension, die der Erkennlichkeit und
Großmut Ihres Herzens Ehre macht! Wollen Sie
aber etwas anders wegen dieser übrigbleibenden
Summe ordnen; auch gut!
Ich höre, Schmidt hat abermals eine Bataille in
Pyrmont und Döbbelin gehabt. Schwerlich wird
er etwas gewonnen; wohl aber, wenigstens in
Betreff seiner Gesundheit, berlohren haben. Grüßen
Sie ihn.
Der Herr von Waldenfels ist angekommen und
schon wirklich in Thätigkeit. Sonst ist außer
den Veränderungen bei der Hofmusik aber nichts
vorgefallen. Viele aber sind noch in langer
Erwartung, besonders die, welche ehedeßen durch die
Hinterthür eingegangen sind. Den 5 ten August, sagt
man, werde sich der Kurfüst in Kölln hul=
dingen laßen; und dann den 16 ten auf den Landtag
zu Arnesberg gehen. Die Garde und Hoflierer
haven neue Kleidungen bekommen, noch weiß ich
aber nicht, wie sie aussehen.
Für heute genug.
Der Himmel laße Ihnen die Freuden der Erde
redlich ein mal ohne Wermuth genießen! Diß ist
der Wunsch Ihres
ergebesten Freundes
Neefe.
Diesen Augenblick hör ich, daß Madam
Beckenkamm egehestern beim Kurfüsten eine
ganze Stunde gewesen sei. Er soll sie haben
rufen laßen. Wer weiß, was sie da wieder für bösen Samen aus-
gestreut hat? Brand sagt, daß sie auch ihn beim Graf Salm verläumdet.
habe.
Translation
in progress